Alain Gut ist als Director Public Affairs bei der IBM Schweiz tätig und kann auf langjährige Erfahrung im Bereich ICT zurückschauen. Neben der Mitarbeit in diversen Organisationen setzt sich Alain Gut – vor allem auch als Leiter des Ausschusses «Bildung und Fachkräfte» bei digitalswitzerland – auch für die Entwicklung von jungen Menschen ein. Die Thematik Fachkräftemangel liegt ihm dabei sehr am Herzen.
Alain: Bei meinem ersten Amt – dem Swico Vorstandssitz – durfte ich die Erfahrung machen, wie bereichernd die Arbeit in Gremien ist und wie solche Tätigkeiten den Arbeitsalltag und die berufliche Arbeit unterstützen und fördern. Ich habe stets versucht, mich dort zu engagieren, wo ich das Gefühl hatte, dass es sowohl mir persönlich wie auch meinem Job einen Mehrwert bietet. Das führte auch dazu, dass meine Arbeitgeber das schätzten und mich dahingehend auch unterstützten. Das habe ich seither immer beibehalten und setzte mich für Themen ein, welche meiner Meinung nach wichtig sind für mich persönlich und aber auch für das Unternehmen, bei welchem ich tätig bin. Meine Tätigkeiten und Mitgliedschaften in den verschiedenen Gremien haben mir gezeigt, wie wichtig in der Schweiz das Netzwerk im Berufsleben ist. Davon konnte ich extrem profitieren.
Reto: Da kann ich Alain nur beipflichten. Auch ich habe in den 14 Jahren meiner Selbstständigkeit wenig Kaltakquise gemacht. Arbeitsaufträge konnte ich stets durch mein Netzwerk generieren.
Was sind Fragen, Problemstellungen oder Anliegen, welche die IT-Branche aktuell beschäftigen, und was sind die Strategien und Stolpersteine?
Alain: In der Schweiz sind wir im Bereich Digitalisierung viel zu langsam und schleppend unterwegs. Gegenüber anderen Ländern verlieren wir, weil wir zu wenige ICT-Fachkräfte haben. Der Digitalisierungsgrad ist nach wie vor beschränkt, und die digitalen Skills der Schweizer Bevölkerung sind im Gegensatz zu anderen Ländern in Europa mittelmässig. Das könnte auch ein Grund sein, weswegen das Verständnis für die Digitalisierung so gering ist. Die Thematik hat in der Schweiz noch nicht den Stellenwert erreicht wie in anderen Ländern.
Reto: Könnte das allenfalls auch mit einer gewissen Wohlstandsträgheit in der Schweiz zu tun haben?
Alain: Man hat in zahlreichen Studien herausgefunden, dass in Ländern, in welchen die Frauen gleichberechtigt sind und der Wohlstand eher hoch ist, Frauen in der IT-Branche untervertreten sind. In Ländern, wo Frauen sich mehr als Männer beweisen müssen oder nach wie vor von Unterdrückung betroffen sind, wählen Frauen einen (technischen) Beruf, welcher in der Gesellschaft als zukunftsorientiert und gut bezahlt gilt und ihnen somit einen sozialen Aufstieg ermöglicht. Eine Studie der Uni Basel zeigt auf, dass in der Schweiz noch immer starke Geschlechterklischees bei der Berufswahl verankert sind und die Geschlechtersegregation deshalb sehr hoch ist.
Wieso kriegen wir den Fachkräftemangel in der ICT-Branche nicht in den Griff?
Alain: Das grosse Problem ist, dass noch immer zu wenige Firmen zusätzliche Lehrstellen schaffen, Programme für Frauen in der IT aufbauen, Quereinsteigende fördern oder Initiativen ergreifen, um die älteren Mitarbeitenden in der Firma so lange wie möglich oder sogar über das Rentenalter hinaus zu behalten. Viele Firmen sind mit ihrer Vollbeschäftigung zufrieden und stellen sich zukünftigen Herausforderungen auf Grund der demographischen Entwicklung zu wenig. Das Berufsfeld ICT ist noch immer mit starken Klischees behaftet und wird gegen aussen nicht attraktiv genug dargestellt.
Reto: Die Anerkennung der Weiterbildungen, insbesondere der Höheren Berufsbildung, in diesem Bereich entspricht noch nicht dem Nutzen, den sie erzielt, und ist zu wenig bekannt oder akzeptiert. Wirtschaftsinformatik ist die Disziplin, die in allen Wirtschaftsbranchen die digitale Transformation voranbringt. Quereinsteigende aus fast allen Grundbildungen finden über die Höhere Berufsbildung, Höhere Fachschulen oder Berufsprüfung, zu neuen spannenden Betätigungsfeldern. Als Folge des Fachkräftemangels in fast allen Berufsfeldern, versuchen Unternehmen, Berufsleute von einer Entwicklung in ein anderes Berufsfeld abzuhalten. Gerade die Weiterbildung in Wirtschaftsinformatik würde aber helfen, diese motivierten Leute durch Job Enlargement zu halten.
Warum tut sich die Branche so schwer, für Frauen schmackhaft zu sein?
Alain: Teilweise ist nach wie vor das Image ein negativer Punkt. In der Gesellschaft ist noch zu wenig angekommen, dass das ICT-Berufsfeld ein zukunftsorientiertes Arbeitsgebiet ist. Ich denke, vor allem müssen Vorurteile und falsche Klischees abgebaut werden. Es fehlen auch weibliche Vorbilder, mit welchen sich Frauen oder junge Mädchen in der Berufswahl identifizieren können. Frauen ist bei der Berufswahl auch die Sinnhaftigkeit ihres Berufs sehr wichtig, welcher bei der IT auf den ersten Blick nicht immer sofort erkennbar ist. Dieser Sinn muss mehr nach aussen getragen werden. Beispielsweise sehen wir, dass sich beim Thema Ethik und Technologie viele Frauen stark engagieren. Bei der IBM versuchen wir bei offenen Stellen auch, Frauen direkter anzusprechen.
Reto: Die Wirtschaftsinformatik ist ein innovatives und sehr spannendes Tätigkeitsfeld aber noch immer mit altbackenen und unwahren Klischees der Techniklastigkeit behaftet. Erfreulicherweise steigt der Frauenanteil stetig. Wirtschaftsinformatik befasst sich mit Menschen und bietet überwiegend Aufgaben, die hervorragend in Teilzeit zu erfüllen sind.
Wir bemühen uns als Wirtschaftsinformatik Schweiz auch für Personen ab 55 Jahren attraktiv zu bleiben. Jedoch sehen wir uns zunehmend mit dem Problem konfrontiert, dass die Fachkräfte nach der Pensionierung der Branche den Rücken kehren. Wieso können solche Personen nicht in der Branche behalten und gehalten werden?
Alain: In erster Linie müssen Arbeitgeber bereit sein, ältere Personen zu beschäftigen und den Wert dahinter zu erkennen. Das Argument, dass ältere Personen teurer sind, geht am Ende nicht auf. Eine junge Person ist zwar auf den ersten Blick vielleicht günstiger, jedoch muss in die Person investiert werden, bis sie das Können und den Erfahrungswert einer älteren Person hat. Ältere Arbeitnehmer verfügen über ein grosses und wertvolles Netzwerk, Können und Wissen und einen grossen Erfahrungsschatz. Es lohnt sich also, eine Kultur oder ein Umfeld in der Firma zu schaffen, welche nicht nur für jüngere, sondern auch für ältere oder bereits pensionierte Mitarbeiter attraktiv sind. Es gilt auch, neue Arbeitsmodelle für die älteren Mitarbeitenden anzubieten. Die Verantwortung, im Bereich Fachkräfte und Fachkräftemangel übernehmen zu wollen, fehlt oft.
Reto: Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Man stellt vermehrt Manager für ein paar Jahre ein, welche den kurzfristigen Gewinn maximieren wollen, aber nicht bereit sind, langfristig zu investieren und denken.
Wie setzen sich die verschiedenen Verbände für die Förderung der Fachkräfte ein? Wie können Unternehmen motiviert und unterstützt werden?
Alain: IT-Kenntnisse braucht es immer mehr in allen Berufen. Hier müssen ganz klar die Branchenverbände ihre Verantwortung übernehmen und sich für den Erhalt und die Zukunft der Branche einsetzen. Unser duales Bildungssystem ist zwar ausgezeichnet, aber etwas träge bei notwendigen Veränderungen. Wir brauchen definitiv mehr ICT-Fachkräfte. Ein gutes Berufsmarketing benötigt jedoch ein grosses Budget, damit es einige Jahre durchgezogen werden kann.
Alain, danke, dass du dich unseren Fragen gestellt hast, nun möchte ich aber noch wissen, was wäre dann eine Lösung, um erfolgreich gegen den Fachkräftemangel in der ICT anzukämpfen oder diesen sogar zu gewinnen?
Alain: Kurz und mittelfristig haben geeignete Quereinsteigende (und dies sind in der ICT mehr Frauen als Männer) das grösste Potenzial. Das heisst aber, dass Firmen diese anders ansprechen und bereit sein müssen, die Interessierten auch entsprechend aus- und weiterzubilden.